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Palästina - Israel 
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TaubeZuerst veröffentlicht beim Münchner Friedensbündnis

Originaltext s. z.B. bei St-Michaelsbund
Die Bilder können durch Anklicken vergrößert werden.
Englische Version


pax christi – Begegnungsfahrt nach Palästina
17. - 28. Oktober 2006
Der bereits während der Reise geschriebene Bericht von Rosemarie Wechsler
(Ergänzungen sind kursiv geschrieben)

Unsere Anreise gestern verlief problemlos bis auf die Ankunft in Tel Aviv: Da wurde eine Teilnehmerin von der Einwanderungsbehörde herausgegriffen und nach etwa zweistündigem Warten gefilzt, ausgefragt und dann freigelassen. Für uns war es problematisch, weil wir nicht wussten, was los war und wie lange die Sache dauern würde!

Mittwoch, 18. Oktober
1. Tag

Wir wurden sofort voll mit der aktuellen Realität konfrontiert, als uns der Führer nicht nur die Geburtskirche zeigte, sondern davon berichtete, wie er im Jahr 2002 die Besetzung der Geburtskirche erlebt hatte: Hunger, Bedrohung durch israelische Scharfschützen, Tote, Verletzte…

Weiter ging es mit der Darstellung der aktuellen politischen Lage durch Fuad Giacoman, den Leiter unserer Partnerorganisation AEI (Arab Education Institute). Sein Fazit: Die Hamas ist in einer demokratischen und friedlichen Wahl gewählt worden, lasst sie endlich regieren. Sie wird sich ändern, sonst wird sie abgewählt.
Sein Wunsch an die EU: Hebt endlich die Zahlungssperre auf (die öffentlichen Angestellten bekommen seit 7 Monaten kein Gehalt mehr, die Lehrer streiken), Seine Bitte an USA und EU: beginnt Friedensgespräche!

DoNotForgetFlüchtlingslager Deheisha: Am Eingang Graffitti mit Szenen aus dem alten Palästina – Frauen am Brunnen, ein Schäfer, Menschen bei der Landarbeit, eine friedliche Landschaft – und die Inschrift “Do not forget”. Im Lager 12.000 Menschen, davon etwa 7.000 Kinder, etwa 64% Arbeitslose. Das Lager besteht seit 1948 und ist eines der 59 Flüchtlingslager insgesamt.
Im Ibdaa Center versucht man, die Lage etwas erträglicher zu gestalten, indem man u.a. Frauen die Möglichkeit gibt, durch Handarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und indem man mit Kindern und Jugendlichen sportliche und kreative Projekte durchführt. Ziel dieser Arbeit ist es nicht zuletzt, zu verhindern, dass “aus Opfern Täter werden”, wie Kaled Saifi, ein Mitarbeiter des Zentrums erläuterte.

MitriRahebEine ernüchternde Darstellung der Situation einerseits und grosse Visionen andererseits in der ev. Weihnachtskirche bei Mitri Raheb: Er ist enttäuscht von den europäischen Kirchen, die nicht den Mut zu klaren Stellungnahmen haben.
In seinem Begegnungszentrum bildet er junge Menschen aus, in der Hoffnung, dass eine Generation von Künstlern heranwächst, die das neue Palästina prägt. “Wir müssen Freiräume schaffen, damit die Menschen atmen können”, so seine Absicht.

Donnerstag, 19. Oktober
2. Tag

UmgehungsstrDie Fahrt nach Ramallah, unserem ersten Ziel, dauert normalerweise (d.h. durch Jerusalem hindurch) nur etwa 30 Minuten. Da aber die direkte Straße für unseren palästinensischen Bus gesperrt war, brauchten wir die dreifache Zeit, wobei wir noch glatt durch die israelischen Checkpoints kamen.

TaubenNach einem kurzen Besuch beim Grab von Yassir Arafat ging es weiter nach Taibeh, dem einzigen christlichen Dorf in Palästina. Hier unternimmt die Kirche grosse Anstrengungen, die weitere Abwanderung der Menschen zu verhindern, indem sie Arbeitsplätze schafft: Eine Ölpresse, in der hochwertiges Olivenöl hergestellt wird – eine Töpferei, die u.a. Öllampen in Form von Friedenstauben fertigt – und die Brauerei für das bekannte Taibeh-Bier.
Allein in der Töpferei finden 15 Menschen Arbeit und damit 15 Familien ihre Existenz.
AltersheimGanz neu ist das Altenheim, in dem 16 alte Menschen aus der Umgebung leben. Der Gemeindepfarrer, Fr. Raed Abu Sahlie, erklärte uns, weshalb er sich so für die wirtschaftliche Entwicklung einsetzt:
  • Die Christen im Heiligen Land wollen nicht für immer als Bettler bei den anderen christlichen Kirchen dastehen
  • Um weiter in Palästina leben zu können, brauchen die Menschen Arbeit, ein Haus und die Möglichkeit zur Familiengründung
  • Eine Kirche, die nicht auf die wesentlichen Bedürfnisse der Menschen antwortet, ist nicht die Kirche Jesu Christi
Seine Bitte an uns war: Helft mit, dass wieder mehr Pilger ins Heilige Land kommen und übt Solidarität mit uns, indem ihr für den Frieden betet und indem ihr weiter erzählt, was ihr gesehen habt.

Eine sehr persönliche Sicht der Situation erfuhren wir von Prof. Ilham Abu Ghazaleh (in Ramallah): Sie berichtete von den vielen kleinen Schikanen, denen die Menschen ausgesetzt sind und die ihnen das Gefühl vermitteln, man wolle sie “hinausekeln”, hinaus aus ihrem Land. Neben den vielen wirtschaftlichen Einschränkungen empfindet sie das Gefühl des Eingesperrtseins besonders bedrückend. “Immer, wenn ich meine Verwandten in Jordanien sehe, frage ich sie, ob ich schon zurückgeblieben wirke.” Sie erzählte auch, dass in Nablus die alten Bürgerhäuser von der Besatzungsmacht zerstört wurden, ebenso von 365 Betrieben, einschließlich Ölpressen, 360, d.h. fünf sind noch übrig.

Zum Iftar – Essen (dem Fastenbrechen am Abend) trafen wir Lehrkräfte von kirchlichen Schulen in Ramallah und Umgebung. Sie beteiligen sich zwar nicht an dem Streik der staatlichen Schulen. Dennoch sind sie von der Situation betroffen, da die Eltern vieler SchülerInnen im öffentlichen Dienst sind und – da sie seit 7 Monaten keine Gehälter mehr bekommen – häufig das Schulgeld nicht bezahlen können.

Auch von einigen unserer Gastgeber erfuhren wir, dass sie eigentlich wohlhabende Leute waren, dass aber die wirtschaftliche Situation ihre Existenz bedroht, wenn nicht schon vernichtet hat.

Freitag, 20. Oktober
3. Tag

Heute war ein Tag voller Gegensätze:
AmKontrollpktAuf dem Weg zur Mauer, wo wir mit der Kindergruppe des AEI "Wallpainting" machen, also Graffitti an die Wand malen oder sprühen wollten, sahen wir Hunderte von Palästinensern auf dem Weg zum Checkpoint. Sie wollten am Freitagsgebet in der Al Aksa Moschee in Jerusalem teilnehmen, wurden aber nur sehr langsam (wenn überhaupt) durchgelassen. Die Schlange der Wartenden wurde immer länger und auf einmal flogen Schreckschußpatronen (Kanonenschläge).Einige von uns blieben da und beobachteten die Szene: Wir sahen, dass die einen zum Checkpoint durchgelassen wurden, andere nicht und wieder andere vom Checkpoint zurückgeschickt wurden. Für uns ohne ersichtlichen Grund. Ein junger Mann wurde durch Schläge erheblich verletzt, später flogen auch Tränengaspatronen.
Freiwillige des ökumenischen Begleitdienstes AEPPI beobachteten und fotografierten. Vielleicht konnten sie Schlimmeres verhindern.
MauerBethlMauermalerAgainst"Wallpainting" in Bethlehem

Claires HausUnser nächstes Ziel war Claires Haus, das von der 8 m hohen Mauer von drei Seiten eingeschlossen ist. Das bedeutet u.a. Verlust der wirtschaftlichen Existenz, da sie ihren Souvenirladen (der sich vor dem Bau der Mauer an der Hauptstrasse befand) aus Mangel an Kundschaft schliessen mussten - Bedrohung durch Schusswechsel zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten - Isolation, da sich kaum mehr jemand zu ihrem Haus wagt - Unsicherheit, weil die palästinensische Polizei nicht in dieses Gebiet fahren darf. Besonders belastend ist die Situation für die Kinder, die nicht mehr draussen spielen können.

Zwei StaatenEinen Überblick über die gesamte Situation bekamen wir von Dr. Jad Issad im Zentrum für angewandte Forschung (ARIJ). Anhand von Karten zeigte er uns die verschiedenen Teilungspläne, die alle darauf hinauslaufen, dass Palästina höchstens 22% seines ursprünglichen Territoriums behält und dass auch dieses zerstückelt wird von Siedlungen, Siedlerstrassen und Checkpoints. "Der Palästinenserstaat wird aus einem vereinigten Getto bestehen", so Dr. Issad.

Erläuterung zum Bild: Zwei Staaten Seite an Seite, aber einer innerhalb des anderen. Grün die nach Stand 2006 verbleibenden Kantone eines möglichen Palästinenserstaates, bestehend aus Gaza und Teilen des Westjordanlandes. In den dunkelblau eingezeichneten Teilen des Westjordanlandes leben bereits ca. 400.000 israelische Siedler. Die rot eingezeichneten Straßen sind reine Siedlerstraßen.

Nach so vielen bedrückenden Informationen und Erfahrungen genossen wir alle den Nachmittag: Wir halfen Anton Murra, einem Mitarbeiter des AEI, bei der Olivenernte. Es ist keine leichte Arbeit, aber Anton ermunterte uns mit traditionellen Olivenpflückerliedern und wir erinnerten uns an alte Volks- und Fahrtenlieder. Bei Sonnenuntergang hatten wir immerhin so viele Oliven geerntet, dass etwa 20 l Öl gepresst werden können. Und wir bekamen eine Ahnung davon, dass die Ölbäume für die Palästinenser einen hohen Symbolwert besitzen.

Samstag, 21. Oktober
4. Tag

Mein Bericht vom Samstag beginnt mit einem Bild und einer Geschichte. Das Bild: Am Krippenplatz in Betlehem steht in einem Pflanztrog ein Ölbaum mit der Inschrift "Ich bin 500 Jahre alt, ich wurde gegen meinen Willen von meinem Platz in Beit Jala ausgegraben, zusammen mit Tausenden von Ölbaumen in ganz Palästina, um Platz für die Apartheidmauer zu schaffen. Ich bin immer noch am Leben."

Die Geschichte: Im Mittelalter wurde eine Stadt belagert. Als die Essensvorräte zu Ende gingen, schlachteten die Leute den letzten Ochsen, füllten ihn mit ihrem letzten Getreide und warfen ihn hinunter zu den Belagerern. Diese dachten, dass die Belagerten noch reichlich Essen haben müssten, wenn sie sich solche Scherze erlauben - und zogen ab.

Diesen Willen zum Überleben in einer bedrohten Situation, erfuhren wir auch am Nachmittag: mit einem grossen Event des Arab Education Institute wurde die neue Webseite www.palestine-family.net im grossen Peace Center am Krippenplatz vorgestellt. Es handelt sich um eine interaktive Webseite, bei der Palästinenser von hier und in der Diaspora Bilder, Texte, Geschichten, Interviews, Rezepte etc. einstellen können. Ziel ist es, die Identität und Kultur Palästinas lebendig zu halten, den Kontakt der Palästinenser untereinander und zu ihrer alten Heimat zu verstärken, und die Begeisterung der Jugend für das Internet zu nutzen, um das Wissen und die Erfahrung der älteren Generation weiter zu geben. Begleitet wurde die Vorstellung der Webseite von einer Tanzgruppe und einem Dichter, sowie von einer Foto- Ausstellung, die vor allem die lebensfrohe Seite des Landes zeigt. Die Webadresse ist eine wichtige Fundstelle zur Geschichte und zum Alltag in Palästina.

Am Vormittag hatten wir das Bethlehem-Museum besucht, in dem vor allem gezeigt wird, wie die Menschen in Palästina früher lebten. Beides, Webseite und Museum, sehen wir auch als Zeichen für das Bestreben, sich gerade angesichts der Besatzung und der alltäglichen Demütigungen auf die eigene Identität, Kultur und Geschichte zu besinnen.

Sonntag, 22. Oktober
5. Tag

Totes MeerWir einen recht entspannten Tag. Gemeinsam mit unseren Gastfamilien besuchten wir Jericho und badeten im Toten Meer. Für unsere Gastfamilien war es das erste Mal seit vielen Jahren, dass sie das Tote Meer besuchen konnten. Ohne unsere Begleitung hätten sie Jericho durch einen anderen Checkpoint verlassen müssen, von dem aus man das Tote Meer nicht erreichen kann.

Doch auch hier holte uns die politische Situation ein: Wiltrud und ich nutzten eine kleine Pause, um das Gefängnis in Jericho aufzusuchen, das das israelische Militär im März diesen Jahres gestürmt hatte, um fünf politische Gefangene herauszuholen. Das Gefängnis ist weitgehend zerstört, bei der Aktion selbst gab es drei Tote und ein Dutzend Verletzte. Diese Aktion trug zu Olmerts Wahlsieg bei.

Montag, 23. Oktober
6. Tag

Heute führte uns Reuven Moskovitz, den ja viele von seinen Besuchen in Deutschland kennen, durch Jerusalem. Wer Reuven kennt, kann sich vorstellen, dass die Führung eine höchst anregende Mischung aus Politik, Geschichte und Kultur war, gemischt mit Geschichten und Anekdoten.
ReuvenUnvergesslich wird uns sein Mundharmonikaspiel in der St.-Anna-Kirche bleiben: drei Meditationen zu den Psalmversen "Suche den Frieden und jage ihm nach".
Stellvertretend für andere Friedens- und Menschenrechtsorganisationen besuchten wir die Society of Saint Yves, eine katholische Menschenrechtsorganisation, die u.a. von Misereor und Missio unterstützt wird.
Unter dem Motto "Ich bin der Hüter meines Bruders" unterstützt die Society of St.Yves Palästinenser aus Ost-Jerusalem und dem Westjordanland bei der Durchsetzung ihrer Rechte, insbesondere bei Familienzusammenführung; wenn ein Partner aus Ost-Jerusalem und der andere aus dem Westjordanland kommt, müssen sie oft Jahre lang getrennt leben und die Kinder wachsen ohne Vater auf .
Abwehr von Hauszerstörungen: Ein veraltetes Recht aus der Mandatszeit macht es Palästinensern fast unmöglich, in Ost-Jerusalem eine Baugenehmigung zu erhalten. Wenn sie dann "schwarz" bauen, riskieren sie die Zerstörung ihres Hauses und Eigentums.
Einsatz gegen Enteignung von Land: Durch den Siedlungs- und Mauerbau wird Land entgegen dem Völkerrecht entschädigungslos enteignet. Die Nutzung fruchtbaren Landes ist durch die knappe Wasserzuteilung erschwert, denn den Palästinensern steht nur ein Zehntel des Wassers zur Verfügung, das Israelis erhalten.
Durchsetzung ihrer Rechte auf soziale Leistungen, z.B. Sozialversicherung, für die sie jahrelang bezahlt haben.

Erschwert wird die Situation der Palästinenser in Ost-Jerusalem dadurch, dass sie nicht als israelische Staatsbürger gelten, sondern als "permanent residents" (ständige Bewohner) und somit nicht über die vollen Rechte eines Staatsbürgers verfügen.

Die Society of Saint Yves vertritt Einzelfälle vor Gericht; dadurch hat sie einen guten Einblick in die Lebenssituation der Menschen. Künftig will man sich darüber hinaus in grundsätzlichen Fragen einmischen und ausserdem die Betroffenen intensiv über ihre Rechte informieren.

Wie wichtig diese Arbeit ist, zeigt ein Satz aus dem Flugblatt: "Palästinenser haben keine Bewegungs- und Versammlungsfreiheit. Sie gelten als schuldig, bis sie selbst beweisen, dass sie unschuldig sind. Doch als Palästinenser können sie niemals unschuldig sein. Palästinensern werden routinemässig Fingerabdrücke abgenommen, sie werden verhört, gefangen genommen, illegal besteuert und der legalen Leistungen beraubt, für die sie jahrelang bezahlt haben."

Dienstag, 24. Oktober
7. Tag

Wir wurden schon beim Morgenimpuls in der Kapelle der Weissen Schwestern mit Problemen konfrontiert: Die Weissen Schwestern hatten bis zum Jahr 2000 ein Gästehaus und mussten es dann aufgeben, weil kaum mehr Pilger nach Bethlehem kommen. Sie bedauern dies auch deshalb, weil dadurch Arbeitsplätze für PalästinenserInnen wegfielen.
Vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen finanziellen Not steigt die Gewalt in den Familien. Eine der Schwestern, die als Familienberaterin arbeitet, berichtete beispielsweise von einem jungen Mann, der ihr mit Tränen in den Augen gestand, dass er seine Kinder geschlagen hat, weil sie um Essen bettelten und er ihnen nichts geben konnte.
Bis vor wenigen Tagen hatten die Schwestern einige Projekte, in denen sie Palästinenser beschäftigten. Nun mussten sie die Menschen entlassen, weil sie selbst kein Geld mehr haben.
Eine weitere Schwierigkeit sind die kleinen Wohnungen: Nicht selten leben sechs und mehr Menschen in einem Raum. Dies führt nicht nur zu Spannungen und weiterer Gewalt, sondern auch zu sexuellen Übergriffen unter den Geschwistern.

HebronKontrollpktProbleme anderer Art erfuhren wir in Hebron: Hier lebten Juden und Muslime bis in die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in friedlicher Nachbarschaft, bis es zu Spannungen und Massakern kam. Heute leben etwaHebronWache 500 Siedler im Ort und werden von 3.000 Soldaten beschützt. Um Zusammenstösse zu vermeiden, sind bestimmte Strassen für Muslime gesperrt. Dennoch kommt es immer wieder zu Übergriffen durch die Siedler. Beispielsweise kann eine Familie ihr Haus nur über kleine Pfade erreichen, und selbst hier werden die Kinder auf dem Weg zur Schule von Siedlern angegriffen. Um das Schlimmste zu verhüten, lebt ein Team der Christian Peacemakers in der Stadt und begleitet unter anderem die Schulkinder dieser Familie. Auch den Peacemakers wurden schon Steine ins Fenster geworfen und sie erhielten sogar Morddrohungen.

Auf unsere Frage, wie sie mit dieser Situation selbst fertig werden, nannten Jane und Abigail, die uns begleiteten, vor allem ihren Glauben und das Bewusstsein, dass Gott sie zu diesem Dienst gerufen hat. Gelegentlich würden sie auch eine Art schwarzen Humors entwickeln, durch den sie manches besser ertragen könnten.

ArtasEinen Einblick in Kultur und Tradition Palästinas erhielten wir dagegen im Kulturzentrum in Artas, das in einer der Wohnhöhlen untergebracht ist, in der die Menschen hier früher lebten. Bei einem traditionellen Essen und Musik auf alten Instrumenten wir eine Ahnung von arabischer Gastfreundschaft.

Mittwoch, 25. Oktober
8. Tag

"Wie leben in einem Freiluftgefängnis" - so kann man das Fazit des heutigen Tages überschreiben: Morgens trafen wir uns mit der Frauengruppe des AEI, etwa 20 Frauen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, Christinnen und Muslimas. Nach einer Vorstellungsrunde, bei der wir schon viel über die Lebenssituation der Frauen erfahren hatten, kam von unserer Seite die Frage:"Was wollt Ihr, dass wir in Deutschland über Euch berichten?"
Als wäre ein Damm gebrochen, sprudelten die Antworten nur so hervor, z.B.
"ich arbeite in einem Krankenhaus und wir haben keine Medikamente mehr für die Armen"
"durch den Schulstreik hängen unsere Kinder schon seit Wochen zuhause oder auf der Strasse herum"
"Tiere haben ihr Fressen, unsere Landsleute nicht"
"Wir sind wie eingesperrt, haben sogar Schwierigkeiten, in ein anderes arabisches Land zu reisen"
"auch wenn wir in Palästina unterwegs sind, wissen wir nie, ob man uns an den Checkpoints durchlässt"
"Mein Mann ist in einem Krankenhaus in Jerusalem gestorben: ich durfte ihn nicht in Bethlehem beerdigen, und wenn ich sein Grab besuchen will, brauche ich eine Erlaubnis"
"ist das der Preis, den wir für die Demokratie bezahlen müssen?"
"wie können wir verhindern, dass unsere Kinder auswandern?"
"sie (die israelischen Soldaten) kommen in unsere Häuser und verdächtigen uns als Terroristen"

Besondere Betroffenheit löste die Frage aus, ob wir überhaupt nachfühlen können, wie es den Menschen an den Checkpoints geht. Wie erinnerten u.a. an die Blockade in Berlin und an die Probleme an der Zonengrenze, mussten aber eingestehen, dass wir uns zwar vorstellen können, was die Menschen fühlen, es aber nicht wissen, weil wir nicht in ihrer Situation sind.

Ebenso wie dieses Treffen berührte uns das Abendessen im Haus von Faten Mukarker, die in Deutschland aufgewachsen ist, nun in Beit Jala - einem Nachbarort von Bethlehem - lebt und Besuchern vor und nach dem Essen von ihrer Lebenssituation berichtet.
Da Faten zur Zeit in Deutschland ist, empfing uns ihre Schwester Khadra, und für das köstliche traditionelle Essen war wie immer Fatens Mann Nikola zuständig.
Eindrücklich berichtete Khadra über die Enge, in der sie aufgrund der Apartheidsmauer und der Reisebeschränkungen leben - über die Schwierigkeit, sogar für eine ärztliche Behandlung in Jerusalem eine Genehmigung zu bekommen - über Nikolas Probleme, wenn er eine für Palästinenser gesperrte Strasse überqueren will, um in seinem Garten zu arbeiten und über ihren Kampf gegen die Mauer, die durch diesen Garten gebaut werden soll - Über ihr Bemühen, ihre Kinder vom Steinewerfen abzuhalten - Über das Misstrauen, das ihnen als Palästinensern überall in der Welt entgegenschlägt und das mangelnde Wissen der meisten Menschen über die Situation in Palästina - Über ihr Erstaunen, dass ihr armer muslimischer Nachbar auf einmal so viel Geld hat, dass er ihr ihr Haus zu einem Preis über dem Marktwert abkaufen könnte - Über ihr Unverständnis, weshalb Juden, Christen und Muslime nicht in Frieden miteinander leben können, so wie sie es mehr als tausend Jahre lang taten. Trotz allem hörten wir aus Khadras Worten keinen Hass, sondern vielmehr den tiefen Wunsch nach einem Leben in Freiheit und Würde, zusammen mit jüdischen und muslimischen Nachbarn.

Donnerstag, 26. Oktober
9. Tag

Wir wollten eigentlich eine der israelischen Siedlungen in Palästina besuchen, erhielten aber kurzfristig eine Absage.
Als Ersatz - der aber keiner war - organisierten Wiltrud und unsere Partner vom AEI drei Gespräche, nämlich mit der israelischen - Menschenrechtsorganisation B'Tselem, mit einem Vertreter der Hamas und mit den Rabbis for Human Rights (Rabbiner für Menschenrechte).

BTselemB'Tselem wurde von israelischen Knesset-Abgeordneten, Rechtsanwälten und Intellektuellen gegründet und setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein. Menschenrechtsverletzungen werden dokumentiert und den zuständigen Stellen übergeben, damit die Fälle untersucht und ggfs. die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Schwerpunkte sind zur Zeit:
Die tödliche Gewalt in der israelischen Armee. Seit 6 Jahren tötete die Armee etwa 3.000 Palästinenser, davon die Hälfte nicht im Rahmen von bewaffneten Zusammenstössen. Weniger als 10% der Fälle von getöteten Zivilisten werden verfolgt.
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Durch die Trennmauer und durch Checkpoints entstanden in Palästina 5 voneinander getrennte Gebiete, und es ist schwierig bis unmöglich, von einem Gebiet ins andere zu gelangen.
Die Situation der in Israel einsitzenden politischen Gefangenen. Etwa 10.000 Palästinenser sitzen in israelischen Gefängnissen ein, durch die Mauer sind Besuche erheblich erschwert; für politische Gefangene sind Militärgerichte zuständig, die z.B. die Beweise nicht offenlegen;

Die palästinensischen Anwälte sind überfordert und handeln oft mit dem Gericht Vergleiche aus, ohne den Mandanten gesehen zu haben; 700-800 Gefangene wurden präventiv festgenommen, und diese Massnahme kann jeweils für sechs Monate verlängert werden, so dass diese Menschen nie wissen, wie lange sie im Gefängnis bleiben; Folter ist zwar offiziell verboten, doch gibt es immer wieder Einzelfälle von Misshandlungen.

Auf unsere Frage, was die Israelis zu dieser harten Haltung bewegt, erklärte uns Jessica Montell, die Direktorin von B'Tselem, dass es in Israel einen Konsens des "Nie wieder" gibt. Das kann aber sehr Verschiedenes bedeuten: "Nie wieder Gewalt" oder, häufiger "Wir lassen uns nie wieder besiegen".

Häufig sprachen wir bisher über die Hamas - heute konnten wir mit einem Vertreter dieser Partei sprechen. Khaled Safi verbrachte insgesamt 10 Jahre im Gefängnis, achtmal in einem israelischen Gefängnis, einmal in einem palästinensischen, immer wegen Mitgliedschaft in der Hamas.
Seine Sicht der Situation: Die Hamas hat das Vertrauen der Menschen, weil sie nicht korrupt ist wie die Fatah und weil sie den Armen wirklich hilft. Nachdem sie die Wahl gewonnen hatte, bot sie der Fatah eine Regierung der nationalen Einheit an, diese zögerte jedoch so lange mit der Annahme des Angebots, bis die Frist zur Regierungsbildung verstrichen war.
An der jetzigen Situation sind auch die USA schuld, die einer Regierung der nationalen Einheit zustimmen würden, wenn die Hamas die UN-Resolutionen anerkennt, den Staat Israel anerkennt und der Gewalt abschwört. Die beiden ersten Punkte, so Khaled Safi, werden von der Hamas akzeptiert; der Gewalt kann sie nicht abschwören, weil Gewalt vor allem von Israel ausgeht.
Generell würden weder die USA noch Israel die palästinensische Seite als Gesprächspartner "auf Augenhöhe" akzeptieren, sondern auf der bedingungslosen Annahme ihrer Forderungen bestehen.
Khaled Safi erinnerte an viele Friedensangebote seitens der Palästinenser, die von Israel ignoriert oder mit erneuter Gewalt beantwortet wurden.
An der europäischen Situation kritisierte er, dass diese die Haltung der USA übernommen habe, nicht selbst nach der Wahrheit sucht und keine ausgewogene Position einnimmt.
Sein Fazit: "Man hat uns keine Chance gegeben, zu regieren, sondern uns von vorneherein verurteilt."

Unser letzter Gesprächspartner an diesem Tag waren die Rabbis for Human Rights (RHR, Rabbiner für Menschenrechte), eine Organisation, der Rabbiner aller religiösen Strömungen angehören mit Ausnahme der Ultraorthodoxen.
Sie engagieren sich in drei Bereichen:
  • Wirtschaftliche Gerechtigkeit innerhalb Israels: Auch in Israel gibt es Armut
  • Bildungsarbeit in der israelischen Bevölkerung, z.B. Kurse an Universitäten mit praktischen Projekten im Bereich Menschenrechte. In diesen Kursen und auch in den Veröffentlichungen betonen die RHR, dass die Menschenrechte Teil der jüdischen Religion und jüdischer Werte sind.
  • Menschenrechtsarbeit in den besetzten Gebieten: Die RHR sind bei Hauszerstörungen zugegen, um wenigstens einen Aufschub zu erreichen, damit die Bewohner noch Teile ihres Hausrats retten können, und auch, um Öffentlichkeit herzustellen.
Zur Zeit sind sie mit vielen Freiwilligen unterwegs, um Palästinenser bei der Olivenernte vor gewaltbereiten Siedlern zu schützen. Sogar der Direktor der Rabbis, Arik Aschermann, war an dem Tag in diesem Anliegen unterwegs und verspätete sich, so dass er uns nicht, wie eigentlich geplant, begrüssen konnte.

Freitag, 27. Oktober
10. Tag

BilinFahnenAm Freitag nahmen viele von uns an einer Demonstration in Bil'in teil. Hier, nördlich von Ramallah, wird seit Februar 2005 nach jedem Freitagsgebet gegen die dort in Bau befindliche Mauer demonstriert.
Am Versammlungsort im Dorf herrschte ein ähnliches Treiben wie bei unseren Demos, vielleicht etwas bunter: Uri AvneryViele junge Leute, Israelis, Palästinenser, Menschen aus der ganzen Welt, sogar ein buddhistischer Mönch mit seinem Tamburin.
Fernsehkameras, Palästinenserfahnen, Poster, Pfeifen, herzliche Begrüßungen. Mitten drin ein schmaler weißhaariger Herr: Uri Avnery, Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom, und Arik Aschermann, Präsident der Rabbiner für Menschenrechte.
BilinDemoAn der Baustelle standen schon israelische Militärfahrzeuge mit Kameras. Auf arabisch und hebräisch wurde der Slogan skandiert: „Nein, nein, nieder mit der Mauer“.
Einige Demonstranten stiegen auf einer Leiter über die Stacheldrahtrollen, die Soldaten schossen mit Tränengas und zwangen so die Demonstranten zum Rückzug.
Etwas später flogen die Tränengasbomben auch zu uns, die wir vor dem Zaun standen, und so machte ich meine erste Bekanntschaft mit Tränengas. Wer es nicht kennt: Es brennt in den Augen und man meint, keine Luft mehr zu bekommen. Zum Glück bekam ich von einem „Demo-Profi“ ein Stück Zwiebel, deren Geruch die Wirkung des Tränengases lindert.

BilinFahneBilinTraenengasBilinVorbereitetBilinUnerschrocken
Als die Militärfahrzeuge auch auf unsere Seite des Zaunes kamen, wurden Steine geworfen.
Ob von Demonstranten oder von Provokateuren – dies hatte Uri Avneri bei einer früheren Demo beobachtet – konnten wir natürlich nicht feststellen.
Trotz dieser unschönen Szene empfand ich die Demo seitens der Demonstranten zwar laut, aber weitgehend gewaltfrei.

Für unser Abschiedsfest am Abend hatten sich die Mitglieder der AEI-Frauengruppe etwas Besonderes ausgedacht: Sie führten eine traditionelle palästinensische Hochzeit vor, mit Brautwerbung durch den Brautvater, Übergabe der Geschenke, Rasieren des Bräutigams, Bemalen der Handflächen der Braut mit Henna und schließlich dem Hochzeitszug. Alles begleitet von Singen, Klatschen, Trommeln und Tanzen der Frauen in ihren wunderschönen gestickten Gewändern.
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Samstag, 28. Oktober
11. Tag

Ein guter Abschluss der Begegnungsfahrt war der Besuch des Friedensdorfes „Neve Shalom / Wahat al-Salam“, das zwischen Jerusalem und Tel Aviv liegt.
Rayek Rizak, der Bürgermeister, stellte uns das Dorf vor, in dem seit mehr als zwanzig Jahren Juden, Christen und Muslime zusammen wohnen. Zur Zeit leben dort 54 Familien, etwa 90 weitere Familien haben Interesse an einer Mitgliedschaft, wenn die geplante Erweiterung realisiert werden kann.
Gegründet wurde das Dorf von Bruno Hussar, der weniger ein Konzept als eine Vision hatte, nämlich „kommt und lebt zusammen; mit der Zeit finden wir eine Lösung“.
Rayek Rizak erläuterte freimütig die Konflikte, die es im Dorf gibt; bestimmend ist dennoch der Wille, zu zeigen, dass zwei Völker und drei Religionen zusammen leben können.
Bei vielen Entscheidungen wird schon heute nach persönlicher Überzeugung und nicht nach Gruppenzugehörigkeit entschieden und bei der nächsten Generation, so die Hoffnung des Bürgermeisters, wird dies noch viel selbstverständlicher sein.
Für uns war dieser Besuch ein guter Abschluss unserer Fahrt: Zeigt Neve Shalom / Wahat al-Salam doch, dass Friede in diesem Land möglich ist.

Siebzehn der neunzehn Teilnehmer flogen an diesem Tag über Wien nach Deutschland zurück. Wir erreichten den Flughafen zweieinhalb Stunden vor dem Abflug. Das stellte sich aber fast als zu knapp heraus, weil sämtliche Teilnehmer gründlichst gefilzt wurden.

Die TeilnehmerInnen sind gerne bereit, in Gruppen, Pfarrgemeinden und bei sonstigen InteressentInnen über die Fahrt zu referieren. Denn, so ein Ergebnis der Auswertung, bei uns wird oft recht einseitig über den Konflikt in Israel-Palästina berichtet. Dass auch die Palästinenser Opfer des Holocaust sind, ist uns nur selten bewusst.

Worüber wir auch erzählen wollen, ist der „spirit of sumud“, die Bereitschaft zum Standhalten, der Geist des „erst recht“, den wir erlebt haben und der uns erstaunt und begeistert hat.
TaubeTaibeh
Rosemarie


Ergänzungen: P. Voß
Fotos: P. Voß, A. Klepzig

Die Taube stammt aus der Öllampen-Manufaktur in Taibeh.